GÜNTHER ROTHE –
LEBEN FÜR DIE KUNST
Malerei
Mit der Wendezeit kam auch für Günther Rothe eine Umorientierung. Er ist überzeugt, dass er mit Willys Showband auch im vereinten Deutschland hätte erfolgreich bleiben können, wünschte sich aber nach über 20 Jahren im Musikgeschäft eine Veränderung. Als Orchesterleiter war er stets für seine Musiker verantwortlich und musste sie strategisch in den Vorderrund rücken. Als Solist konnte er deutlich beweglicher sein, freiere Entscheidungen treffen und höhere Risiken eingehen, dabei Gelegenheiten besser nutzen und sich Leidenschaften widmen, die bisher zu kurz gekommen waren: zum Beispiel der Malerei. So verließ er seine gewohnten Pfade ohne Scheu oder sentimentale Rückschau und erprobte seine neuen Freiheiten.
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Auch zur Malerei erfolgte sein Zugang auf privatem Wege. Schon Ende der 80er Jahre hatte er im Leipziger Café Corso den Maler Heinz Wagner kennengelernt, der als Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) die Fachklasse Malerei und Grafik leitete. Das Café Corso war damals ein beliebter Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle aller Art. Die bildenden Künstler hatten dort ihren Stammtisch, die Musiker um Günther Rothe auch. So kamen beide irgendwann ins Gespräch, und Rothe begeisterte sich für die Kunst des anderen. Wagner wiederum war gleichfalls ein umgänglicher Typ und für einen Künstler seines Ranges bemerkenswert uneitel. Er gab gerne Auskunft, gewährte Einblick in seine Arbeit und lud Rothe recht bald zur Besichtigung seines Ateliers ein. Beide lernten einander schätzen und freundeten sich an.
Inspiriert durch seine neuen Eindrücke und Wagners vielfältige Schilderungen keimte in Rothe schon bald der Wunsch, sich selbst in der Malerei zu versuchen. Den Anstoß gab schließlich eine Auftragsarbeit, die Wagner ablehnte, weil er grundsätzlich keine Aufträge annahm. Er malte nur aus eigenem Antrieb. Günther Rothe ergriff die Gelegenheit, nahm alles zusammen, was er bisher von Wagner gelernt hatte, und fertigte das bestellte Bild selbst – teils aus Geschäftssinn, teils aus Lust am Experiment. Und er tat es immerhin so gut, dass Wagner überrascht war und das Talent des Neulings anerkennen musste. Schon wenig später nahm er ihn als Schüler an und unterrichtete ihn an der Hochschule neben seinen Studenten. Aber eingeschrieben war Günther Rothe dort nie, auch einen Abschluss hat er nie gemacht. Es war ein privates Arrangement, das auf gegenseitiger Wertschätzung beruhte. Für Rothes Ausbildung war dies von großem Vorteil, weil sein Kontakt zum Lehrer auf diese Weise noch enger und der Einblick in dessen Geheimnisse wesentlich tiefer war, als es der reguläre Lehrbetrieb erlaubt hätte.
Aber nicht nur für Rothe, sondern für alle, die von ihm lernten, war Professor Heinz Wagner ein echter Gewinn – und in der Kunstszene Leipzigs ein erfrischender Sonderling. Denn während die Vorkämpfer der Leipziger Schule in Inhalt und Stil sehr festgelegt waren und ihren Ansatz entschieden verfolgten, blieb Wagner stets neugierig und aufgeschlossen. Er betrachtete die Kunst nicht durch den Filter einer ästhetischen Programmatik oder als Werkzeug eines gesellschaftlichen Ideals, sondern als unendliches Feld der Freiheit und Entwicklung. Entsprechend legte er keinen Wert darauf, dass seine Schüler genauso malten wie er selbst, sondern ermutigte sie zur Ausprägung ihrer eigenen künstlerischen Vorstellung. Als Lehrer wollte er ihnen lediglich helfen, sich die technischen Mittel anzueignen, die sie benötigten, um ihre Vision zu verwirklichen. Sein Unterricht war daher Anleitung zur Selbstfindung und Befähigung zur Emanzipation, nicht die Heranziehung von Nachfolgern.
Ohne diesen freiheitlichen Geist in Wagners Unterricht wäre Rothes Malerei vermutlich noch in der Keimzelle steckengeblieben, weil seine künstlerische Idee der Leipziger Schule nicht nahesteht. Er denkt Maler und Publikum nicht als Sender und Empfänger, sondern als Teilnehmer einer gemeinsamen Erfahrung. Deshalb entwirft er keine Figurenensemble, die dem Betrachter eine Bedeutung vermitteln, indem ihre Elemente szenisch aufeinander Bezug nehmen, sondern lebt allein von Farbe und Komposition. Seiner persönlichen Entwicklung gemäß, ist sein Ansatz eher musikalisch als semantisch. Nicht was gemalt wird, steht im Zentrum seiner Aufmerksamkeit, sondern wie es gemalt wird.
Entsprechend werden seine Motive nie ausdrücklich, sondern bleiben angedeutet und archetypisch, haben weder Ort noch Zeit, sind ohne Referenzen oder Verweise. Nur auf die Stimmungen, die sie auslösen, kommt es an – auf die Eindrücke, die sie hinterlassen. Von vereinzelten Ausflügen ins abstraktere Fach abgesehen, umkreisen sie in immer neuen Spielarten ein Sujet, das den größtmöglichen Freiraum für die persönliche Einfühlung anbietet: Weite Horizonte, an denen Himmel und Meer aufeinandertreffen. Wie instrumentale Musik bilden sie Tummelplätze der Vorstellungskraft, Ausflüsse des Unbewussten und Transportmittel für Emotionen, keine Botschafter für Begriffliches. Sie wollen erlebt und gefühlt werden, nicht durchschaut.
Diesem Anliegen folgt Rothes spezifische Maltechnik. Es entspräche nicht seinem Naturell, mit präzisem Pinsel eine Vorzeichnung penibel abzuarbeiten. Sein Stil ist deutlich impulsiver und spontaner, genauso intuitiv wie seine Bilder assoziativ sind. Tagträume, Stimmungen, Gedanken oder Phantasien können sie in ihm auslösen. Aber auch reizvolle Kontraste, die sich in der Natur finden. Dann beginnt er, das Bild zu grundieren. Mal forsch und dynamisch die Farbe mit dem Spachtel auftragend, dann wieder sinnlich und behutsam sie mit den Fingern einmassierend, entsteht zunächst eine Farbkomposition. Deren konkrete Motive, sofern sie erwünscht sind, werden erst nach und nach aus dem Hintergrund herausmodelliert – wie eine Plastik aus dem rohen Lehm unter den Fingern ihres Bildners. Manchmal erscheinen sie überraschend plötzlich, nach nur wenigen entscheidenden Handgriffen, wie Geister aus dem Nebel ihres Gefildes.